The Reception and Use of International Law in Modern Japan, 1853–1945

Autor*innen

  • Urs Matthias Zachmann

Abstract

Japan nimmt eine besondere Stellung in der Weltgeschichte ein, indem es als einzige nicht-westliche Macht unter den Großmächten die Geschicke der Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert mitbestimmte. Als solche spielte es auch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der modernen Völkerrechtsordnung. Innerhalb weniger Dekaden stieg Japan von der Position einer peripheren Nation im Schatten Chinas zur Hegemonialmacht in Ostasien auf und wurde – zumindest formal – gleichberechtigt in die Gemeinschaft der Nationen aufgenommen. Dieser Aufstieg zeigte überdeutlich, dass der souveräne Gebrauch von Völkerrecht nun nicht mehr nur eine Domäne der westlichen Mächte war und dass das Völkerrecht damit endgültig die Grenzen eines ius publicum europaeum hin zu einem „Weltrecht“ überschritten hatte. Untersuchungen der Rezeption des westlichen Völkerrechts konzentrieren sich im Wesentlichen auf dieses frühe Kapitel der Rezeptionsgeschichte, sind jedoch bei aller Anerkenntnis der Erfolge Japans erstaunlich verhalten in der Bewertung der Rezeption selbst. So wird diese von vielen als zu passiv, eurozentrisch, „positivistisch“ (ein Merkmal mit eher negativer Konnotation in Japan) und epigonal kritisiert. Ein alternativer Interpretationsentwurf sieht Japans Völkerrechtsrezeption zwischen 1905 und 1945 als Vorläufer einer revisionistischen Bewegung, die die normative Vormachtstellung des Westens in Frage stellt und eigene Ordnungsvorstellungen verfolgt. Dieser Diskurs steht in Zusammenhang mit der jüngeren Debatte um sogenannte „Asiatische Werte“ und der postkolonialen Kritik an Völkerrecht in jüngster Zeit. Beide Argumentationsstränge sind jedoch, wie ihre innere Widersprüchlichkeit zeigt, irreführend hinsichtlich der Rolle, die das Völkerrecht in den Außenbeziehungen Japans spielte. Dieser Aufsatz möchte daher ein umfassenderes und zutreffenderes Verständnis dieser Rolle ermöglichen, indem es die Geschichte der Rezeption und Anwendung von Völkerrecht in Japan seit Anbeginn im Jahre 1853 bis zum Ende Japans als Imperialmacht im Jahre 1945 nachzeichnet und noch einmal die Frage nach ihrem kritischen bzw. konstruktiven Potential für die allgemeine Völkerrechtsentwicklung stellt. Zusammenfassend zeigt sich, dass das Völkerrecht in Japan anfangs eine rein funktionale Rolle innehatte, insofern seine Observanz gegenüber den westlichen Mächten einen hohen Grad an „Zivilisiertheit“ signalisieren sollte und gegenüber den ostasiatischen Nachbarn als argumentative Waffe einer aggressiven Imperialpolitik diente. Japan hatte mit dieser Strategie auch Erfolg und konnte die verhassten „ungleichen Verträge“ bereits 25 Jahre nach Abschluss des letzten Vertrages revidieren und sich nach 1905 als Hegemonialmacht in Ostasien etablieren. In Anbetracht dieser Funktion ist es daher kaum verwunderlich, dass japanische Völkerrechtler und Politiker eine eher passive, eurozentrische und „positivistische“ Haltung gegenüber dem Recht einnahmen. Eine offene Kritik an der Völkerrechtspraxis vor 1919 hätten Japans Ziele eher gefährdet und wäre, selbst wenn ein solcher Wille dazu bestanden hätte, angesichts der Machtverhältnisse auch weitgehend wirkungslos geblieben. Aus den gleichen Gründen betrachteten japanische Politiker jedoch die liberalen Entwicklungen des Völkerrechts in der Zwischenkriegszeit eher als Bedrohung der japanischen Sonderstellung in Ostasien und schlossen sich dieser nur mit äußersten inneren Vorbehalten an. Dies gilt für den Völkerbund ebenso wie für das Verbot des Angriffskrieges durch den Briand-Kellogg-Pakt, und nur äußeres Prestige und die Furcht vor Isolation bewegten Japan, diesen beizutreten. Zudem wäre es irreführend, den „Positivismus“ japanischer Völkerrechtler als Ausdruck eines Mangels an Kritik schlechthin zu verstehen. Kritik und Reserviertheit gegenüber dem westlichen Völkerrecht existierten seit Beginn seiner Rezeption und nahmen mit jeder subjektiv empfundenen Zurücksetzung Japans in der Weltpolitik noch zu. Diese Entfremdung brachte eine Tradition der „kritischen“ Völkerrechtswissenschaft in Japan hervor, die insbesondere die politische, wirtschaftliche, soziale und historische Bedingtheit des angeblich „universalen“ Völkerrechts in Augenschein nahm. Seine Hochzeit hatte dieser Ansatz in den Kriegsjahren von 1931 bis 1945, als Japan aktiv den status quo der internationalen Ordnung herausforderte und eine eigene normative Ordnung in Ostasien zu begründen suchte. Allerdings waren japanische Völkerrechtler wider Erwarten, auch wenn sie die kontinentale Expansion argumentativ unterstützen, nicht deren glühendsten Befürworter, sondern argumentierten aus einer defensiven Stellung heraus. Angesichts der Herausforderung, ein „Ostasiatisches Völkerrecht“ erfinden zu müssen, warnten sie eher vor einer radikalen und irrationalen Abkehr vom normativen status quo und traten für eine graduelle Entwicklung neuer völkerrechtlicher Konzepte auf Grundlage des kritischen Studiums klassischen Völkerrechts ein. Sie suchten damit ihr Gebiet und ihre Profession gegen die zunehmenden Angriffe und Spott in der japanischen Öffentlichkeit zu verteidigen, allerdings mit geringem Erfolg. Die häufigen Verletzungen humanitären Rechts in den Schauplätzen des Krieges zeugen von der zersetzenden Kraft des „totalen Krieges“, der ihre Argumente zunichte machte und sie selbst überrollte hätte, wenn nicht die Kapitulation im Jahre 1945 dieser Entwicklung Einhalt geboten hätte. Aus diesem Grund jedoch dient die Völkerrechtsrezeption Japans auch nicht als historisches Beispiel für eine „Herausforderung der normativen Hegemonie des Westens“, sondern eher als warnendes Beispiel für die Notwendigkeit eines rationalen und konstruktiven Diskurses um normative Konzepte internationaler Ordnung heute.

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Veröffentlicht

2014-08-01

Zitationsvorschlag

U. M. Zachmann, The Reception and Use of International Law in Modern Japan, 1853–1945, ZJapanR / J.Japan.L. 37 (2014), 109–138.

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Abhandlungen