Kindschaftsrecht in Japan – Geschichte, Gegenwart und Zukunft
Abstract
Der Beitrag gibt einen Überblick über das Kindschaftsrecht Japans aus rechtsvergleichender Sicht. Der Beitrag beginnt mit einem kurzen historischen Abriss über die Entwicklung des japanischen Familienrechts, der das sogenannte „Haussystem“ (ie-seido) vorstellt, das in dem Zivilgesetz (ZG) in der Fassung von 1898 eine legislative Anerkennung fand. Das „Haus“ (ie) bestand im Sinne einer „Familieneinheit“ aus einer Blutsverwandtschaft mehrerer Generationen und trug einen einheitlichen Familiennamen. Der „Hausherr“ (koshu) hatte die „hausherrliche Gewalt“ in allen die Familie betreffenden Angelegenheiten. Dieses patriarchalische System war jedoch mit der Nachkriegsverfassung von 1946 unvereinbar, die unter anderem die Würde des Individuums und die Gleichberechtigung von Mann und Frau festschreibt. Im Jahre 1947 wurde deshalb der familien- und erbrechtliche Teil des ZG vollständig reformiert. Seit jener grundlegenden Novellierung ist es aber nur zu punktuellen weiteren Reformen gekommen, was heute namentlich im Bereich des Kindschaftsrechts Probleme aufwirft.
So wurden auch nach der Abschaffung des Haussystems im Familienregister (koseki) dessen Grundideen aufrechterhalten. Das „Haus“ wurde durch die Familieneinheit mit demselben Familiennamen ersetzt. In das Familienregister werden beispielsweise keine Ausländer aufgenommen, und der Nachname des ausländischen Ehegatten ist nicht als Familienname wählbar, was als Ungleichbehandlung von In- und Ausländern kritisiert wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass im Familienregister nach wie vor die gesamten Angelegenheiten der japanischen Familienangehörigen ohne Rücksicht auf den Schutz von deren Privatsphäre eingetragen werden. Das Register war lange Zeit für jeden frei zugänglich. Jüngste Einschränkungen der Einsehbarkeit gewähren noch immer keinen hinreichenden Schutz. Es war deshalb vielen Japanern lange Zeit ein wichtiges Anliegen, das Familienregister „sauber“ zu halten, was zu zahlreichen fehlerhaften Meldungen führte, etwa bezüglich der „Ehelichkeit“ eines tatsächlich angenommenen Kindes.
Ein weiterer Problembereich im japanischen Abstammungsrecht ist die Ehelichkeitsvermutung und deren Anfechtung. Wird ein Kind während der Ehe der Mutter empfangen, wird die Vaterschaft des Ehemannes vermutet, auch wenn tatsächlich ein Dritter der leibliche Vater ist. Die Eintragung des Kindes im Familienregister als „eheliches“ kann nur im Wege einer Ehelichkeitsanfechtung korrigiert werden, zu der aber ausschließlich der Ehemann der Mutter als rechtlicher Vater berechtigt ist. Klagt dieser nicht fristgemäß auf Anfechtung, ist seine Vaterschaft kaum noch zu widerlegen.
Auch im Bereich des Sorgerechts war lange ein Reformdefizit zu beobachten. Das japanische Kindschaftsrecht ist, anders als das deutsche, nach wie vor an die Ehelichkeit gebunden. Das Sorgerecht wird nur solange von beiden Eltern gemeinsam getragen, wie sie verheiratet sind, und wird anlässlich der Ehescheidung auf den Vater oder die Mutter übertragen, die dann alleine sorgeberechtigt sind. Eine nachträgliche Abänderung des Sorgeberechtigten ist möglich, erfolgt grundsätzlich aber unter Beachtung des Kontinuitätsgrundsatzes. Damit besteht die Gefahr, dass ein Elternteil, der das Kind unter Beeinträchtigung des Sorgerechts des anderen Elternteils illegal entführt hat, trotzdem das Sorgerecht erhält oder bestätigt bekommt, wenn sich das Kind bereits in die neue Umgebung eingelebt hat. Diese Rechtslage bei besonders problematisch in einer grenzüberschreitenden Kindesentführung nach Japan. Japans Ratifikation des Haager Kindesentführungsübereinkommens am 1. April 2014 soll hier Abhilfe schaffen.
Die jahrzehntelange erbrechtliche Benachteiligung nichtehelicher Kinder hat der japanische Gesetzgeber jüngst korrigiert. Nach einer bahnbrechenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Jahr 2013 ist eine erbrechtliche Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder nunmehr durch eine aktuelle Novellierung des Art. 900 ZG verwirklicht worden. Diese verschiedenen kleineren Reformen im japanischen Kindschaftsrecht geben der Verfasserin Anlass zur Hoffnung auf weitere dynamische Änderungen.
(Die Redaktion)