Der japanische kollisionsrechtliche ordre public im Familienrecht

Anmerkung zum Urteil des Familiengerichts Tōkyō vom 17. Januar 2019

Autor*innen

  • Jan Felix von Alten

Abstract

Dieser Beitrag nimmt ein Urteil des Familiengerichts Tōkyō vom 31. Januar 2019 über eine talāq-Scheidung nach myanmarisch-islamischem Recht und deren Scheidungsfolgen zum Anlass, die Dogmatik des japanischen kollisionsrechtlichen ordre public-Vorbehaltes in Art. 42 RAG darzustellen und daraufhin das Urteil in diese einzuordnen. Der japanische kollisionsrechtliche ordre public-Vorbehalt ist der deutschen Dogmatik nicht unähnlich. Grund dafür ist, dass beide Länder einem kollisionsrechtlichen System nach Prägung Savignys anhängen, in dem die jeweiligen ordre public-Vorbehalte funktionell äquivalent sind. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 42 RAG sind das Vorliegen eines ordre public-Verstoßes durch das Anwendungsergebnis fremden Rechts und ein hinreichender Inlandsbezug des Sachverhaltes. Beide Tatbestandsvoraussetzungen stehen in einer Wechselbeziehung: Je stärker die eine erfüllt ist, desto geringer die Anforderungen an die andere Tatbestandsvoraussetzung. Auf Rechtsfolgenseite steht der Anwendungsausschluss der lex causae. Die Rechtsprechung sieht üblicherweise eine hierdurch entstehende Lücke, die mit der lex fori, dem japanischen Recht, geschlossen wird. In dieses System fügt sich die Entscheidung des FG Tōkyō vom 31. Januar 2019 ein: In einer im Inland vorgenommenen talāq-Scheidung myanmarischer muslimischer Staatsbürger gegen den Willen der Ehefrau unter anwendbarem myanmarischen islamischen Rechts sieht das Gericht einen ordre public- Verstoß und erklärt sie unter Anwendung des ordre public-Vorbehalts für nichtig. Interessengerecht hat das Gericht daraufhin die Ehe nach myanmarischem Recht geschieden. Dies konnte es, da es die Wirksamkeit der talāq-Scheidung als Vorfrage behandelt hat und in der Hauptsache über eine „erneute Scheidung“ seitens der Klägerin befand. Den ordre public-Vorbehalt wandte das Gericht auch auf die Bestimmung des Sorgerechtsinhabers für den Sohn von Klägerin und Beklagtem, der nach myanmarischem islamischen Recht der Vater gewesen wäre, und auf den nach anwendbarem myanmarischen Recht fehlenden Schmerzensgeldanspruch im Zusammenhang mit der Scheidung an. In allen Fällen benannte das Gericht keine der dogmatischen Voraussetzungen des Art. 42 RAG, sondern beschränkte sich darauf, axiomatisch einen ordre public-Verstoß festzustellen. Einzig im Falle der Bestimmung der Sorgerechtsinhaberschaft konkretisierte das Gericht den Inhalt des japanischen ordre public durch die Benennung des Kindeswohls als Abwägungskriterium. Wenngleich das Urteil sich auch unter strikter Bezugnahme auf die Dogmatik in dieser Form sicherlich hätte begründen lassen, macht die spärliche Begründung des Gerichtes das Urteil interessant: Es führt zu der Frage, wie flexibel die Gerichte den kollisionsrechtlichen ordre public-Vorbehalt handhaben. Hier werden weitere Untersuchungen notwendig sein.

Dieses Urteil ist das erste eines japanischen Gerichtes zu einer talāq- Scheidung. Die von ihm ausgehende Feststellung, dass eine solche, sofern sie gegen den Willen der Ehefrau erfolgt, gegen den ordre public verstößt, ist richtungsweisend. Dagegen scheint das Justizministerium dazu zu neigen, talāq-Scheidungen, die mit Zustimmung der Ehefrau vorgenommen werden, anerkennen zu wollen. Dies ergibt ein Gesamtbild, das dem Umgang Deutschlands mit der talāq-Scheidung durchaus ähnlich ist.

Veröffentlicht

2023-12-08

Zitationsvorschlag

J. F. von Alten, Der japanische kollisionsrechtliche ordre public im Familienrecht: Anmerkung zum Urteil des Familiengerichts Tōkyō vom 17. Januar 2019, ZJapanR / J.Japan.L. 56 (2023), 233–267.

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Rechtsprechung