Einschränkung des Notwehrrechts bei unterlassener Vorfeldvermeidung potenzieller Angriffe
Die japanische Diskussion als Anregung für Deutschland
Abstract
Im Jahr 2017 hat der japanische Oberste Gerichtshof eine Entscheidung über die Einschränkung des Notwehrrechts getroffen. Diese Entscheidung erkennt an, dass der potenzielle Angegriffene in bestimmten Fällen verpflichtet ist, im Vorfeld einen Angriff zu vermeiden und/oder staatliche Hilfe anzufordern. In Japan gibt es einen heftigen Konflikt zwischen der akademischen Auffassung, die diese Entscheidung unterstützt, und derjenigen, die sich auf die herrschende Auffassung in Deutschland beruft. Letztere betont die Rechtsmaxime „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ und wendet sich entschieden dagegen, dem potenziellen Angegriffenen diese Verpflichtungen aufzuerlegen. Dieser Beitrag diskutiert die folgenden Punkte, um diesen Konflikt zu lösen: Erstens wird festgestellt, dass sowohl in Japan als auch in Deutschland die Auffassung vertreten wird, dass diese Verpflichtungen dem Angegriffenen aufgrund des Prinzips des Vorrangs staatlicher Gewalt auferlegt werden können. Zweitens wird gezeigt, dass auf diesem Prinzip beruhende Einschränkungen des Notwehrrechts bereits unter den Voraussetzungen des „Angriffs“ und der „Gegenwärtigkeit“ zu finden sind. Auch Einschränkungen des Notwehrrechts bei einem extremen Missverhältnis können und sollten als auf diesem Prinzip beruhend verstanden werden. Drittens zeigt sich, dass es zwar von einer Beurteilung der Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit abhängt, ob solche Verpflichtungen dem Angegriffenen auferlegt werden können, dass aber auch in Deutschland die Verpflichtung bestehen kann, vor dem Einsatz einer lebensgefährlichen Gegenmaßnahme den Versuch zu unternehmen, einem Angriff auszuweichen und/oder öffentliche Hilfe anzufordern. Denn in Deutschland gibt es eine Sonderregel für die Erforderlichkeitsbeurteilung, wenn es um lebensgefährliche Gegenmaßnahmen geht. Soll die Einschränkung des Notwehrrechts bei der sogenannten Abwehrprovokation anerkannt werden, ist es darüber hinaus möglich, zumindest dann eine Verpflichtung zur Vermeidung eines Angriffs im Vorfeld und/oder zur vorherigen Anforderung öffentlicher Hilfe aufzuerlegen, wenn der potenzielle Angegriffene den Angriff im Voraus antizipiert und auch damit rechnet, dass die Gegenmaßnahme lebensgefährlich sein wird. Nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland, wo man bisher zögerlich war, dem potenziellen Angegriffenen diese Verpflichtungen aufzuerlegen, sollte die Diskussion darüber vertieft werden.