Karōshi und die Reaktion des Rechts

Autor*innen

  • Matthias Müller

Abstract

Der japanische Begriff karōshi bezeichnet den „Tod durch Überarbeitung“. Infolge einer arbeitsbedingten Überlastung kommt es zu einem tödlichen kardiovaskulären Anfall oder zur Ausbildung einer psychischen Erkrankung, welche zum Suizid führt (karō-jisatsu). Genaue Fallzahlen existieren nicht. Während die Unfallversicherung jährlich nur einige hundert Todesfälle als Tod durch Überarbeitung anerkennt, gehen Schätzungen von bis zu 10.000 Fällen aus. Der Beitrag untersucht zunächst die im Arbeitsverhältnis liegenden Ursachen von karōshi und die einschlägigen Präventionsmechanismen des bis zum 1. April 2019 bzw. 1. April 2020 geltenden Arbeitsschutzrechts. Dabei zeigt sich, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen zu Höchstarbeitszeiten und Ruhe­tagen durch umfangreiche, anderslautende Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung nach Art. 36 ASG umgehen lassen. Während aufgrund der Besonderheiten des japanischen Gewerkschaftssystems nur ein geringer organisierter Widerstand hiergegen besteht, besteht für Arbeit­nehme­rinnen und Arbeitnehmer eine Eigenmotivation, Überstunden zu leisten. Gleichzeitig erwiesen sich die hiergegen ergriffenen Maßnahmen der Verwaltungslenkung und zivilrechtlichen Steuerung als wenig wirksam. Unter Zugrundelegung der Erkenntnisse zur alten Rechtslage werden die wesent­lichen Inhalte der Arbeitsrechtsreform von 2018 analysiert. Wichtigste Ände­rung ist die Einführung einer gesetzlichen Obergrenze für Überstunden von grundsätzlich 360 Stunden pro Jahr. Anschließend stellt der Beitrag die wesentlichen Aspekte der haftungsrechtlichen Behandlung von karōshi dar. Die Schwerpunkte bilden dabei die Anerkennung eines Todesfalls als arbeitsbedingt durch die gesetzliche Unfallversicherung sowie die zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Arbeitgeber. Dabei wird insbesondere auf das Dentsū-Urteil ein­gegangen, in welchem der Oberste Gerichtshof die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisierte und diese erstmalig auch im Deliktsrecht verortete.

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Veröffentlicht

2021-06-24

Zitationsvorschlag

M. Müller, Karōshi und die Reaktion des Rechts, ZJapanR / J.Japan.L. 51 (2021), 273–312.

Ausgabe

Rubrik

Abhandlungen