Abgrenzungsprobleme des Haftungsumfangs bei Atomschäden
Abstract
Unter den Aufgaben, die uns die Katastrophe von Fukushima aufgibt, befasst sich dieser Beitrag mit dem Schadensersatz, der sich schon jetzt in großem Umfang abzeichnet.
Auf Schäden in Folge eines solchen Atomunfalls findet das AtomschadensErsG Anwendung. An dieser Stelle wurden die Besonderheiten des AtomschadensErsG im Vergleich zum Schadensersatz nach dem allgemeinen Deliktsrecht aufgezeigt.
Charakteristisch für dieses ist die verschuldensunabhängige, konzentrierte und unbeschränkte Pflicht zur Leistung von Schadensersatz. Daneben ist ein besonderes Verfahren zu dessen Abwicklung vorgesehen (wie etwa die besonderen Schadensersatzmaßnahmen sowie, bei Notwendigkeit staatlicher Hilfe, die Organisation zur Unterstützung bei Atomschadensersatz).
Zur Bestimmung des Haftungsumfangs in der Praxis und zur Lösung von Konflikten wurden die Kommission und das Zentrum zur Lösung von Atomschadensersatzstreitigkeiten errichtet. Die Kommission erlässt dafür allgemeine Richtlinien, die zur außergerichtlichen Konfliktbewältigung durch die Betroffenen beitragen, und vermittelt Vergleiche zwischen diesen.
Für die materiell-rechtliche Bestimmung entscheidend ist der Begriff des adäquaten Kausalzusammenhangs, der in den Richtlinien der Kommission (wie auch in den einschlägigen Präzedenzfällen) eine Schlüsselrolle einnimmt. Danach sind Schäden als vom Haftungsumfang umfasst anerkannt, die in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall stehen.
Der Begriff der adäquaten Kausalität ist dem Kontext des allgemeinen, Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzenden Deliktsrechts entlehnt. Zur Basis späterer Theorien wurde der Hinweis, dass jener Begriff an sich keine Kausalität (i.S.d. conditio-Formel) darstellt, sondern eine solche Kausalität um die normative Beurteilung des Haftungsumfangs anreichert.
Probleme zeigen sich zunächst anhand einer besonderen Kategorie von Schäden i.S.d. des Atomschadensersatzes, den durch Gerüchte bedingten Schäden. Fraglich ist hier das Vorliegen von Wiederholbarkeit, d.h. die Beantwortung der Frage nach dem Entstehen gleichartiger Zustände aus denselben Bedingungen heraus (bzw. dessen hoher Wahrscheinlichkeit). Verschiedene Punkte sind klärungsbedürftig und es besteht eine gewisse Meinungsvielfalt im Bezug auf die Notwendigkeit eines strengen Beweises im naturwissenschaftlichen Sinne oder der Frage nach der Wiederholbarkeit als Voraussetzung der tatsächlichen oder der adäquaten Kausalität. In den bisher ergangenen Entscheidungen scheint die Wiederholbarkeit als eine Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs behandelt und im Einklang mit der Vorhersehbarkeit beurteilt zu werden. Es ist jedoch nicht klar, ob dabei auch Beachtung fand, dass Vorhersehbarkeit eine Voraussetzung der Fahrlässigkeit ist, während die Ersatzpflicht für Atomschäden gerade verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Ferner besteht Diskussionsbedarf im Bezug auf das Verständnis des Wiederholbarkeitsbegriffes. Im Falle der Schäden durch ein Gerücht unterscheidet sich die Eintrittswahrscheinlichkeit für das Phänomen der Kaufzurückhaltung eines einzelnen Verbrauchers aus einer Menge von dem der Kaufzurückhaltung eines bestimmten Anteils der Verbraucher in der Menge. So hängt die Beurteilung der Wiederholbarkeit auch bei Zugrundelegung desselben Sachverhaltes von der Wahl des Bezugspunktes ab.
Weiter wurde auf die Problematik der Spätfolgen hingewiesen, für die es schwierig ist, einen Kausalzusammenhang naturwissenschaftlich nachzuweisen. Insbesondere solche Spätfolgen, die naturwissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt sind und deren Entstehungswahrscheinlichkeit in der Zukunft möglicherweise nicht besonders stark zunimmt (etwa die möglichen Auswirkungen einer langfristigen inneren Strahlenexposition in niedrigen Dosen), werfen wichtige Fragen hinsichtlich der Anerkennung eines Kausalzusammenhangs und der Bestimmung des Haftungsbetrages auf.
Diese Probleme bestehen, weil viele Fragen bislang ungelöst geblieben sind. Dies gilt für die Bedeutung und die Funktion des adäquaten Kausalzusammenhangs (und der Wiederholbarkeit), die Eigenschaften und den Grad des Kausalitätsnachweises sowie dafür, wie sich die Feststellung von Kausalität vom Haftungsumfang unterscheidet, aber sich gleichzeitig in dessen Berechnung widerspiegelt. Unter dem Eindruck der derzeitigen Situation jedoch ist die Bewältigung dieser Aufgaben zu erwarten.